Wa​s tut dir Leid?

"Entschuldigung", sagt sie zu mir und ich frage mich, ​was es zu entschuldigen gibt.

Ich stehe auf, trete in den Gang und lächle sie an, ​während sie an mir vorbei geht, um auszusteigen

Quill pen and old books

Patrick Michel

22. März 2024


"Entschuldigung", sagt sie zu mir und ich frage mich, was es zu entschuldigen gibt.

Ich stehe auf, trete in den Gang und lächle sie an, während sie an mir vorbei geht,

um auszusteigen.

"Tut mir wirklich Leid", sagt sie erneut mit einer Demut, das mir ein passendes Adjektiv dazu fehlt.

"Was tut ihnen Leid?, möchte ich sie fragen und sage stattdessen, dass es nichts zu entschuldigen gibt, ​wenn sie aussteigen muss.


Wenige Stunden später im Supermarkt:


Mit einer Cola Zero in der Hand warte ich darauf, dass eine Selbstbezahler-Kasse frei wird. Direkt vor mir scannt ein junges ​Mädchen, vielleicht 20, ihre Artikel ein.

Beim Bezahlen tut sie sich schwer. Sie scheint verwirrt und tippt auf dem Display rum, welches diverse Zahlungsoption anzeigt.

Ich mache einen Schritt auf sie zu und sage ihr, dass sie zum Zahlen die Karte einfach an das Lesegerät halten muss. Ich entferne ​mich wieder.

Ihre Karte funktioniert nicht.

Ich merke, dass sie noch verwirrter ist.

Ich trete wieder näher an sie heran und stelle fest, dass sie kein Deutsch spricht.

Ich frage sie auf Englisch, ob sie eine andere Karte dabei hat. Sie verneint.


"Do you have PayPal?", frage ich.

Sie ist konfus.

Ich frage erneut.

Keine Antwort.

Ich halte meine Karte an das Lesegerät und zahle für sie.


"I don't have PayPal", sagt sie schließlich.

"It's too late. Don't worry", antworte ich.

"I'm so sorry", beteuert sie.

Ich sehe Verzweiflung in ihren Augen. Es tut ihr wirklich Leid und ich frage mich erneut, was es ist.


Was tut ihr Leid?

Ich scanne meine Coke, zahle und wünsche ihr noch einen schönen Tag, bevor ich den Laden verlasse. Ihr Sachen liegen immer ​noch neben der Kasse.


Was tut dir Leid?

Die Frage will mir nicht aus dem Kopf.

Zuerst entschuldigt sich eine Frau bei mir, die aussteigen muss, dann ein Mädchen, dass nicht zahlen konnte.

Beim ersten Mal ging es nicht anders.

Beim zweiten Mal war es meine freie Entscheidung ihr zu helfen.

Ich erwarte keinen Dank und dennoch bin ich verwundert, dass statt Dankbarkeit Bedauern zum Ausdruck gebracht wird.


Ich denke ja ohnehin viel nach. Ich beobachte und mache mir Gedanken.


Diese zwei Ereignisse haben mich nachdenklich gemacht.


Darüber, dass wir uns einfach öfters mal für Hilfe bedanken sollten,

statt uns für Umstände zu entschuldigen.


So richten wir unseren Fokus aufs Positive.


Und davon kann die Welt und unser Leben einfach immer mehr gebrauchen.

M

Patrick Michel

Autor,Texter, Ghostwriter

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