Was bedeutet es Mensch zu sein?
Wo ist die Menschlichkeit der Menschheit?
Ich sehe sie nicht mehr. Alles lässt sich heute über Technik machen. Statt die menschliche Entwicklung weiter voranzutreiben, arbeiten wir mit Hochdruck daran, sie abzuschaffen.
Patrick Michel
26. August 2023
“Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit.”
Als Neil Armstrong als erster Mensch am 20. Juli 1969 den Mond bestieg, sagte er diese Worte. Ob er diese aus vollem Herzen sagte, wage ich zu bezweifeln. Mir würde in diesem Moment nichts derartig pathetisches einfallen, aber die Amis waren irgendwie schon immer anders.
Mir wäre ein “Geil.” aus dem Mund gefallen, auch wenn dieses Wort 1969 vermutlich noch gar nicht in Gebrauch war.
“Ein großer Schritt für die Menschheit.”
Menschheit, was ist das? Was bedeutet es, Mensch zu sein?
Der große Schritt Neil Armstrongs war für mich keiner, zumindest nicht für die Menschheit. Menschlich kommt mir unsere Welt schon lange nicht mehr vor.
Die erste Mondlandung war ein großer Schritt für die Technik, von Menschenhand geschaffen. Hier steckten Arbeit, Schweiß und vermutlich viel Geduld und Tränen mit drin.
Dennoch, so finde ich, haben wir uns mit der rasanten Entwicklung der Technik als Mensch in die entgegengesetzte Richtung entwickelt.
Wo ist die Menschlichkeit der Menschheit?
Ich sehe sie nicht mehr. Alles lässt sich heute über Technik machen. Statt die menschliche Entwicklung weiter voranzutreiben, arbeiten wir mit Hochdruck daran, sie abzuschaffen. Technik hat vorrang. Die Hilfsmittel, die uns heutzutage zur Verfügung stehen, scheinen unerschöpflich. Für manche sind sie nötig geworden in einem Leben, dass nicht nur Hilfe, sondern Führung benötigt, weil es selbstständig nicht zu bewerkstelligen ist.
Statt unsere Beine zu benutzen, werden wir gefahren oder lassen uns fahren. Unsere Welt ist derart schnell geworden, dass uns lediglich die Verbindung zur Natur, die Verbindung zu uns selbst, zum Menschsein noch entschleunigen kann. Was benutzen wir dafür? Richtig, unsere Beine. Ein gemütlicher Spaziergang im Wald statt der rasanten Fahrt in Bus, Bahn oder Auto. Alles ist hektisch geworden. Jeder trägt eine Uhr am Handgelenk und schaut stets nach der schnellstmöglichen Verbindung von A nach B. Die Verbindung zu sich selbst finden die wenigstens. Sie scheint weit weg, nicht zu erreichen, und sofern doch, ist die Fahrtzeit nicht abzuschätzen. Wir begnügen uns damit, immer schneller woanders zu sein, als bei uns.
Ich wünschte mir manchmal, ich wäre in einer anderen Zeit geboren worden.
“Früher war alles besser.” Sicher nicht, aber mich stört die Schnelllebigkeit des Seins dieser Zeit.
Menschlich gesehen tun wir unserer Evolution nichts Gutes. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass wir ihr irgendwann im Laufe des letzten Jahrhunderts nicht einmal gerecht werden.
Höflichkeit geht verloren.
Style geht verloren.
Sprache verkümmert.
Es mangelt an Bewegung.
Es fehlt an Eigeninitiative.
Gute Gespräche sind eine Rarität. Banalität beherrschen den Alltag.
Das Leben der Anderen ist wichtiger als unser eigenes.
Wir fressen Gefühle in uns hinein, bis wir von ihnen aufgefressen werden.
Wir haben immer mehr Essen, aber weniger Nahrung.
Wir haben immer mehr Bekanntschaften, statt richtiger Freunde.
Wir sind mit allem und jedem zu jederzeit verbunden, empfinden aber immer weniger Verbundenheit, am wenigsten mit uns selbst.
Wir haben immer mehr Netzwerke, aber immer weniger Gemeinschaft.
Wir reden viel und sagen wenig.
Wir schreiben täglich und übermitteln dennoch keine Botschaft.
Die Welt erscheint mir wie ein großes Paradoxon.
Frauen in Männerkleidung.
Männer in Frauenkleidern.
Menschen, die nicht wissen, was sie sind oder sein wollen, in Kostümen.
Geschlechter, die nicht zuzuordnen sind.
Worte, bei denen sich jeder angesprochen oder in irgendeiner Art verletzt wird. Meinungsfreiheit ist ein hoch gelobter und immer verwendeter Punkt in der Welt und dennoch wird uns vorgeschrieben, was wir zu sagen haben.
Meinungen werden gehört, aber nicht toleriert.
Toleranz gibt es nur für die, die meiner Meinung entsprechen.
Ein offener und freundschaftlicher Diskurs scheint unmöglich. Persönlich weiß keiner, wer er ist, aber in der Diskussion ist sie meistens auf der anderen Seite zu finden. Immer dagegen, Hauptsache ein Standpunkt wird eingenommen, egal, ob es der eigene ist oder nicht.
M
Patrick Michel
Autor,Texter, Ghostwriter
E-Mail
Telefon & Whatsapp